Tokenisierung Von Vermögenswerten Was Sich Dahinter Verbirgt Und Warum Sie Die Finanzmärkte Revolutionieren Wird
Von vielen unbemerkt haben Innovationen in den Finanzdienstleistungen große Teile der Welt, wie wir sie heute kennen, geprägt. Besonders hervorzuheben sind hier die Erfindung der Aktiengesellschaft sowie der Börse, die weltweit nachhaltige geopolitische Auswirkungen hatten.
Die Auswirkungen dieser Neuerungen, die zu einer Demokratisierung der Kapitalmärkte geführt haben, sind heute immer noch zu spüren. Aktuell sehen wir uns mit neuen Entwicklungen konfrontiert, die wahrscheinlich genauso revolutionär sein werden wie die Einführung der Aktiengesellschaft und der Börse: der Tokenisierung von Vermögenswerten. Künftig wird dieses neue Konzept weltweit massive Werte freisetzen und dazu beitragen, effizientere und fairere Kapitalmärkte zu schaffen.
DISTRIBUTED-LEDGER-TECHNOLOGIE UND TOKENISIERUNG
Es lässt sich durchaus behaupten, dass wir mit dem Aufkommen tokenisierter Vermögenswerte kurz vor einer Entwicklung stehen, die in ihrer Bedeutung mit der Einführung der Aktiengesellschaft und der Eröffnung der ersten Börse im Jahr 1602 vergleichbar ist. Die Tokenisierung von Vermögenswerten wandelt Rechte an einem Vermögenswert in eine digitale ‚Wertmarke‘ um, einen sogenannten Token. Während der Vorgang an sich der Verbriefung von Vermögenswerten ähnlich ist, wird bei der Tokenisierung die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) eingesetzt, vor allem Blockchain. Diese Technologie bietet im Vergleich zur herkömmlichen Vorgehensweise der Finanzdienstleister fünf wichtige Vorteile. Erstens gibt die DLT allen Parteien größere Transparenz, da sie alle eine identische Dokumentation teilen, die nur über einen klar definierten Konsensprozess aktualisiert werden kann.
Zweitens bietet diese innovative Technologie eine bessere Nachvollziehbarkeit an, da jede Transaktion in einer Reihe von Knoten gleichzeitig erfasst und gespeichert wird und daher auditierbar ist. Die ersten beiden Merkmale bringen den dritten Vorteil der DLT mit sich, nämlich höhere Sicherheit. DLT ist sicherer als traditionelle Mittel zur Führung von Aufzeichnungen, da Transaktionen vereinbart werden müssen ehe sie festgeschrieben werden, und keine nachträglichen Änderungen möglich sind. Diese Merkmale führen auch zum vierten Vorteil der DLT: sie erhöht in der Regel die Effizienz und Geschwindigkeit, da sie papiergestützte Prozesse und menschliche Fehler größtenteils ausschaltet. Und schließlich senkt sie regelmäßig die Kosten, da sie Prozesse optimiert und die Anzahl der Beteiligten reduziert.
ANWENDUNG DER DISTRIBUTED-LEDGER-TECHNOLOGIE AUF DIE FINANZMÄRKTE
Die Vorteile der DLT mögen zwar zunächst etwas abstrakt klingen, doch sie werden greifbarer, wenn wir sie uns im Kontext der Kapitalmärkte ansehen. Der Einsatz der DLT in der Welt der Finanzen bringt zahlreiche Vorteile mit sich, darunter diese fünf: erstens werden wir eine zunehmende Disintermediation sehen, d. h. einen Abbau von Vermittlern. Theoretisch brauchen wir keine Bank, keinen Broker und keine Börse mehr, da Käufer und Verkäufer direkt miteinander interagieren können. Zweitens wird die Ausführungsgeschwindigkeit steigen, da die DLT die Anzahl der Vermittler verringert und die Abwicklungsdauer verkürzt. Drittens kann jegliche Anlagemöglichkeit globale Marktpräsenz erlangen. Praktisch jeder, der einen Internetzugang hat, kann sich innerhalb der jeweiligen gesetzlichen Grenzen an praktisch jeder Anlagemöglichkeit beteiligen, unabhängig von seinem geographischen Standort. Viertens werden Investitionsprojekte von einer größeren Anzahl von Investoren profitieren, da neue Investorensegmente erreicht werden können. Anlagemöglichkeiten wie Kunst oder Edelsteine, die aktuell nur einer Handvoll reicher Individuen offenstehen, können für alle zugänglich gemacht werden. Und fünftens hat die DLT das Potenzial, die Marktmanipulation erheblich zu reduzieren, da jede Transaktion in Echtzeit transparent aufgezeichnet und geteilt wird und zudem unabänderlich, auditierbar und allen Interessensgruppen einschließlich der Aufsichtsbehörden jederzeit zugänglich ist.
Die Hürden für die Tokenisierung eines Vermögenswerts, um ihn an einem DLT-gestützten Finanzmarkt handelbar zu machen, lassen sich aus technischer Hinsicht äußerst leicht und kostengünstig überwinden.
Gleichzeitig sollte man die Vorteile nicht unterschätzen, die sich daraus ergeben, dass Vermögenswerte überhaupt erst handelbar gemacht werden. In seinem wegweisenden Werk „Marketability and Value: Measuring the liquidity Discount“ (zu Deutsch: Marktgängigkeit und Wert: Messen des Liquiditätsrabatts, Juli 2005), erklärt Aswath Damodaran, dass ein börsennotiertes Unternehmen eine Liquiditätsprämie von 20-30 % gegenüber einem nicht börsennotierten Unternehmen aufweist. Diese Liquiditätsprämie verdankt es höheren Markteffizienzen, die sich aus ceteris paribus mehr Marktteilnehmern, einem höheren Handelsvolumen, geringeren Spreads und einer geringeren Preisauswirkung ergeben. Angesichts dieser Argumentation werden die Gründe für die Tokenisierung von Vermögenswerten ziemlich überzeugend: unter ansonsten gleichbleibenden Bedingungen gewinnt ein Vermögenswert an Wert, wenn er handelbar gemacht wird.
BEISPIELE AUS DER ECHTEN WELT
Bereits heute gibt es zahlreiche Beispiele für tokenisierte Vermögenswerte, die verschiedenste Bereiche wie Immobilien (z. B. Property Coin), Rohstoffe (z. B. Oil Coin), Diamanten (D1 Coin), Gold (Digix Coin), Kunst (z. B. Maecenas), Luxusgüter (z. B. Tend) und nationale Währungen (z. B. Tether) abdecken. Dazu gehört auch die Blockchain-basierte Plattform Bitcar, die Teileigentum an einem Portfolio von exotischen Autos anbietet. Statt selbst einen einzigen Oldtimer oder Sportwagen zu unterhalten, kann man so einen Teil eines ganzen Portfolios solcher Autos erstehen. Was auf den ersten Blick wie eine eher exzentrische Geldanlage aussehen mag, hat einen ernsthaften wirtschaftlichen Hintergrund: exotische Sammlerautos waren im letzten Jahrzehnt eine der Vermögensklassen, die sich am besten entwickelten. Die Tokenisierung solcher Autos öffnet diese Vermögensklasse einem Anlegersegment, das sich ein solches Engagement bisher nicht leisten konnte. Doch der Anleger ist nicht der Einzige, dem die Tokenisierung von Vermögenswerten Vorteile bringt: auch der Verkäufer der Vermögenswerte profitiert. Stellen Sie sich die Eigentümerin eines Kunstwerks vor, die kurzfristig Liquidität benötigt: sie könnte jetzt die Hälfte ihres Gemäldes an eine Gruppe von Kunstbegeisterten verkaufen. Oder stellen Sie sich den Inhaber eines kleinen oder mittleren Unternehmens vor, der gerne allmählich in den Ruhestand gehen möchte. Dank der Tokenisierung von Vermögenswerten könnte er nun einen Börsengang vornehmen, den Investmentbanken zuvor unbezahlbar teuer bepreist hätten. Über ein sogenanntes Security Token Offering (STO) könnten die Eigentümerin des Kunstwerks wie auch der Unternehmensinhaber jetzt ihr Vermögen oder Teile davon jeder Art von Anlegern weltweit anbieten.
Diese neuen Angebote in der Welt der Security-Token werden außerdem durch ein ganzes Spektrum von Dienstleistern ergänzt, die die Tokenisierung von Vermögenswerten, die Emission und Trading-as-a-Service anbieten, wie STO GlobalX. Außerdem wagen sich jetzt immer mehr bestehende Akteure auf das Feld und schließen die Infrastrukturlücken, die ein dauerhaftes Öekosystem für tokenisierte Vermögenswerte und Security-Token bislang vereiteln: Fidelity Investments zum Beispiel hat die Gründung einer Tochtergesellschaft angekündigt, die Verwahrungs- und Ausführungsleistungen rund um digitale Vermögenswerte anbietet. Die Falcon Bank bietet jetzt ein digitales Wallet für die Aufbewahrung tokenisierter Vermögenswerte an. Die Schweizer Börse hat ihr Ziel bekanntgegeben, eine regulierte Handelsplattform für digitale Vermögenswerte einzurichten1. Lloyd’s aus London hat sein Produktangebot ausgeweitet und versichert jetzt auch Verwahrstellen, die digitale Vermögenswerte für ihre Kunden verwalten. Und dies sind nur einige Beispiele für die vielen Entwicklungen auf diesem Gebiet.
Schlussfolgerung
Die Summe des gesamten weltweiten Reichtums beträgt aktuell etwa 317 Billionen USD2. Wenn man börsengehandelte Finanzprodukte abzieht und daher nur von einer Liquiditätsprämie von 10 % ausgeht, könnte ein Wert von mehr als 30 Billionen USD freigesetzt werden, wenn Vermögenswerte besser austauschbar sein würden. In den kommenden Jahren wird die Tokenisierung von Vermögenswerten die Methode der Wahl sein, um genau dies zu erreichen. Außerdem werden die Länder, die sich für dieses neue Konzept öffnen und die Kapitalmärkte demokratisieren, einen strategischen Vorteil gegenüber anderen Nationen gewinnen. Die Länder, die die Tokenisierung von Vermögenswerten fördern, könnten die Zukunft der Welt gestalten – ganz wie jene, die sich einst als Erste auf Aktiengesellschaften und die Börse einließen.
PATRICK SCHUEFFEL ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (Schweiz) und vertritt die Hochschule derzeit als Liaison Officer in Singapur. Er ist Dozent, Forscher und Geschäftsentwickler.Nach langjähriger Erfahrung im Bankwesen und in den Finanzdienstleistungen in Europa ist er jetzt auch beratend tätig und schlägt dabei eine Brücke zwischen dem digitalen Europa und dem digitalen Asien. |
(1)https://www.six-group.com/en/site/digital-exchange.html, Juli 2018.
(2)Gemäß dem Global Wealth Report der Credit Suisse von 2018.