Ökosystem & Neue Akteure
Erinnern Sie sich noch an Napster? Der 1999 gegründete Peer-to-Peer-File-Sharing-Dienst sorgte weltweit für Aufsehen. Er ermöglichte es, Audiodateien mit anderen Nutzern zu teilen und damit das Copyright zu umgehen. Heute spricht niemand mehr über Napster. Doch die Idee, Musik aus dem Internet abzuspielen, hat sich gegenüber dem Verkauf klassischer Tonträger durchgesetzt. Für die Wirtschaft insgesamt und insbesondere die Finanzbranche wird der Bitcoin einst als das erkannt werden, was Napster für die Musikindustrie war: der Vorbote einer umwälzenden Idee. Blockchain und Distributed-Ledger-Technologien führen zu zwei grundlegenden Veränderungen: in der Tätigung von Geschäften und bei der Aufzeichnung, Speicherung und Übertragung von Werten.
DLT, MEHR ALS EINE TECHNOLOGIE: EINE NEUE DENK- UND ARBEITSWEISE
Ökosysteme und Konsortien sind die neue Realität. Es liegt im Wesen der Blockchain und im Bestreben aller Akteure, von dieser Technologie zu profitieren, dass Letztere überdenken müssen, welche Rolle sie in der Wertschöpfungskette spielen und wo sie sich in der neuen Umgebung positionieren. Einige Technologien – zum Beispiel die Tabellenkalkulation – sind bereits für den einzelnen Nutzer wertvoll. Andere erfordern die Beteiligung vieler Nutzer, sowohl von Partnern als auch von Wettbewerbern, wobei ihr Wert steigt, wenn sich mehr Parteien beteiligen. Obwohl ein Distributed-Ledger bereits zwischen zwei Unternehmen eine positive Sofortwirkung haben kann, verstärkt sich diese mit dem Netzwerkeffekt.
„Je mehr Nutzer, desto wertvoller ist die Technologie für sie alle. Konsortien ermöglichen es Unternehmen, Blockchain-Netzwerkeffekte sofort zu nutzen“1,
indem sie ein Werkzeug für die Schaffung einer Governance-Struktur für die Zusammenarbeit bieten, nicht selten auch zwischen Wettbewerbern. Für eine effektive Blockchain, die hält, was sie verspricht, müssen die meisten Unternehmen Teil eines Konsortiums sein und sind es auch zunehmend. Zugleich zeigen vielversprechende Forschungsergebnisse2, dass Banken, die sich entscheiden, ihr strategisches Denken auf einen Ökosystemansatz zu verschieben und „im Rahmen einer grundlegenden Ökosystemstrategie erfolgreich Partnerschaften aufbauen und Daten zu Geld machen, ihr ROE auf etwa 9 bis 10 Prozent steigern könnten.“
DIE TOKENISIERUNGSREVOLUTION
Die zweite große Veränderung in den Finanzdienstleistungen und der Wirtschaft stellen digitale Vermögenswerte und Tokenisierung dar. Sie haben das Potenzial, die weltweiten Finanzmärkte umzukrempeln, und werden die Art und Weise, wie wir Werte und Vermögen registrieren, speichern und übertragen, grundlegend verändern. Was wir gerade sehen, ist die Geburt eines Internets des Wertes, das dem gegenwärtigen Internet der Informationen folgen und die Übertragung eines Vermögenswerts so einfach und reibungslos machen wird wie den Versand einer E-Mail. Alle Arten von Vermögenswerten können und werden durch Token repräsentiert werden, und die ersten „intelligenten“ Wertpapiere machen bereits von sich reden. Digitale oder „intelligente“ Wertpapiere gestalten den Kapitalbildungsprozess um, indem sie teure Compliance-Anforderungen mit einem transparenten und unabänderlichen Bestandsbuch automatisieren. Zusätzliche Vorteile sind die stetige Verfügbarkeit, globale Märkte, Kosteneinsparungen, höhere Liquidität und eine schnelle und nahezu Echtzeit-Abwicklung, was ein besseres Risikomanagement ermöglicht.
WELCHE HINDERNISSE STEHEN DER UMSETZUNG IM WEG, WELCHE AKTEURE ENTWICKELN SICH ZU VORREITERN IN DER LÖSUNGSENTWICKLUNG – UND WIE GEHT ES WEITER?
Um ihr Potenzial vollständig zu entfalten, braucht die aufkommende tokenisierte Wirtschaft ein vertrauenswürdiges, umfassendes und rechtskonformes Ökosystem, ein integriertes Ökosystem um digitale Vermögenswerte, das von starken und erfahrenen Partnern entwickelt wird, damit institutionelle Anleger die neuen Anlageklassen erschließen und dabei alle Kundenbedürfnisse berücksichtigen können. Swisscom, das führende Schweizer Unternehmen für Informations- und Kommunikationstechnik, hat das Potenzial der Distributed-Ledger-Technologie wie auch die beiden Veränderungen in Richtung Ökosysteme und digitale Vermögenswerte früh erkannt. Aus diesem Grund arbeitet Swisscom mit Partnern an einer umfassenden Lösung für die Ausgabe, Registrierung, Speicherung und Übertragung digitaler Vermögenswerte über die Blockchain.
Wie kürzlich bekanntgegeben wurde3, hat sich die Gruppe Deutsche Börse, einer der größten Marktinfrastrukturanbieter der Welt, mit Sygnum (einem Schweizer Finanztechnologieunternehmen mit Sitz in Singapur) in einer neuen strategischen Partnerschaft zusammengeschlossen. Das Ziel dieser Kooperation besteht darin, gemeinsam eine vertrauenswürdige und rechtskonforme Finanzmarktinfrastruktur für digitale Vermögenswerte auf- und auszubauen. Die Kernelemente der Lösung werden die Ausgabe, die Verwahrung und der Zugang zu Liquidität und Bankdienstleistungen sein – alles mithilfe der Distributed-Ledger-Technologie (DLT).
Zwei Hauptkomponenten der Infrastruktur sind bereits weit fortgeschritten: die Ausgabeplattform, Daura AG (mit einem aktuellen Schwerpunkt auf Schweizer KMU), und die Custodigit AG, die Verwahrplattform für digitale Vermögenswerte, die auch Zugang zu Börsen und Märkten bietet. Die Daura AG, ein Jointventure von Swisscom und MME, einer führenden Anwaltskanzlei, hat eine Plattform entwickelt, die Distributed-Ledger-Technologien einsetzt, um digitale Vermögenswerte auszugeben und Schweizer KMU-Anteile sicher zu übertragen und zu registrieren, was nicht börsennotierten Unternehmen Zugang zu den Kapitalmärkten eröffnet. Die Custodigit AG wurde 2018 als Jointventure von Swisscom und Sygnum gegründet. Sie bietet eine Lösung für die Verwahrung digitaler Vermögenswerte für regulierte Finanzdienstleistungsinstitutionen. Die integrierte Plattform ermöglicht es Bankkunden, den gesamten Lebenszyklus ihrer digitalen Vermögenswerte zu verwalten. Die obigen Entwicklungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die neuen Ökosysteme bereits Realität sind – ein Trend, der in den kommenden Jahren noch deutlich zulegen dürfte.
PHILIPP DE ANGELIS ist Teil des Digital Business-Bereichs der Swisscom, wo er neue Geschäftsfelder mit einem aktuellen Schwerpunkt auf digitalen Vermögenswerten, Blockchain und Trust Services entwickelt. Er hält einen MBA der IMD Business School. |
(1) Deloitte, Emergence of blockchain consortia, 2017.
(2) McKinsey, 2018.
(3) Gruppe Deutsche Börse, 11. März 2019
Ethereum-Standards: es wird konkret
von Etienne Deniau
Ethereum hat die größte Community von Blockchain-Entwicklern. Standards für die Interoperabilität von Token werden innerhalb dieser Community erörtert und beschlossen1. Hier ein Überblick über die wichtigsten Funktionsstandards.
ERC-20: ERC-202 wird als die Mindestfunktionsgruppe für einen Token angesehen. Er ermöglicht im Wesentlichen die Überprüfung der Gesamtanzahl von Token sowie Kontostandanzeigen, Überweisungen und die Ermächtigung und Tätigung von Lastschriften.
ERC-777: ERC-7773 ist auf Kompatibilität zu ERC-20 ausgelegt. Er führt das Konzept des Operators ein, eines Proxy, der berechtigt ist, Token von einem Konto zu senden. Ein Smart Contract ist ein Operator.
ERC-1400: Dieser Standard4, dessen Zweck in der Abwicklung von Wertpapiergeschäften besteht, wird noch erörtert. Er ist mit ERC-20 kompatibel und dürfte mit ERC-777 kompatibel sein. Er hat vier neue Untergruppen von Funktionen:
- Die Kernwertpapier-Untergruppe ermöglicht die Ausgabe und Rücknahme von Wertpapieren, aber auch die endgültige Beendigung der Ausgabe weiterer Wertpapiere.
- Die Untergruppe zur Dokumentenverwaltung ermöglicht die Einstellung und den Abruf von kettenexterner Dokumentation.
- Die Untergruppe zum Controller-Betrieb führt eine übergeordnete Instanz ein, die berechtigt ist, eine Übertragung oder Rücknahme von Token zu erzwingen.
- Und schließlich gehört jeder Token zu einer Untergliederung, um Beschränkungen der Übertragbarkeit zu verwalten, zum Beispiel eine Abhängigkeit von einer Sperrfrist oder von der Erfüllung von KYC-Anforderungen.
Damit sind Unternehmensereignisse beim ERC-1400-Standard noch außen vor.
Diese Standards bilden einen sehr grundlegenden Rahmen nur für die Übertragung und Ausgabe von Token. Für eine effektive Abwicklung von Sekundärmarktoperationen sind noch erhebliche Verbesserungen nötig.
(1) https://ethereumworldnews.com/ethereum-eth-development-2019/
(2) https://eips.ethereum.org/EIPS/eip-20
(3) https://eips.ethereum.org/EIPS/eip777 and https://github.com/ethereum/EIPs/blob/master/EIPS/eip-777.md
(4) https://github.com/ethereum/EIPs/issues/1411andhttps://blog.polymath. network/erc-1400-evolution-of-a-security-token-standard-1e25d12b9261